Der Mann, der gegen das Internet kämpfte
Es gibt Politiker, die scheinen ein dickes Fell zu haben. Helmut Kohl etwa, der als „Birne“ durch die Karikaturenlandschaft der Republik rollte, ohne auch nur ein einziges Mal die Bundesanwaltschaft zu alarmieren. Und dann gibt es Friedrich Merz – möglicherweise der erste deutsche Spitzenpolitiker, der die Beleidigungsparagrafen ähnlich häufig nutzt wie andere den Wecker auf Snooze drücken.
Ob es nun tatsächlich 5000 Anzeigen waren, 500 oder fünf – das lässt sich schwer sagen. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung ist Merz längst zum Sheriff der verletzten Gefühle geworden. Ein Mann, der im digitalen Wilden Westen mit §185 StGB auf dem Halfter bereitsteht und jeden Kommentar jagt, der nicht mindestens drei Höflichkeitsfloskeln enthält.

Dünnhäutig? Nein, nur extrem atmosphärisch sensibel!
Manche sagen „dünnhäutig“. Aber vielleicht ist das unfair. Vielleicht ist Friedrich Merz einfach nur ein Mensch mit einer besonders feinen Taktileinheit für Vibrationen im Meinungsraum. Während Helmut Kohl bei „Birne“ herzhaft in die nächste Pfälzer Saumagenportion biss, spürt Merz vermutlich schon emotionale Mikroaggressionen, wenn jemand „Friedrich M.“ schreibt und versehentlich ein Leerzeichen zu wenig lässt.
Sicherheitsstufe: Empörung
Merz ist ein Mann der Ordnung. Und Ordnung muss sein, vor allem im Internet, wo Menschen bekanntermaßen das tun, was Menschen tun: Dinge schreiben, die Politiker nicht unbedingt auf Stickern drucken würden.
Andere würden Kritik weglächeln, ignorieren oder sich mit einem ironischen Tweet revanchieren. Merz hingegen scheint sich eher als Bademeister im Becken des politischen Anstands zu verstehen – mit Pfeife, rotem Badeanzug und der ständigen Bereitschaft, jedem einen Platzverweis zu erteilen, der das Wasser zu laut platschen lässt.
Ein Vergleich: Kohl, der Titan – Merz, der Titan der Gefühle
Helmut Kohl überstand Jahrzehnte der Häme, Cartoons, Spott und parteiinterner Messerstechereien, während er stoisch weiterregierte wie ein politischer Kühlschrank, der einfach immer läuft.
Friedrich Merz hingegen wirkt eher wie ein hochsensibles Smart-Home-Gerät:
Reagiere bei Beleidigung: TRUE. Aktion: Anwalt einschalten.
Hätte Kohl nach jedem satirischen Cartoon Anzeige erstattet, wären die deutschen Gerichte wohl bis heute mit Akten aus den 80ern beschäftigt. Bei Merz könnte man denken, er versuche genau diesen historischen Rückstand aufzuholen.
Was bleibt?
Vielleicht ist Merz gar nicht dünnhäutig. Vielleicht ist er der erste Politiker einer neuen Ära: Empfindlichkeits-Avantgarde, Beleidigungs-Beauftragter in eigener Sache, Chief Sensitivity Officer der Bundesregierung.
Oder – und das ist die spannendste Spekulation – vielleicht versucht Merz tatsächlich, durch massenhafte Strafanträge das Internet zu domestizieren. Ein ehrenwertes, wenn auch chancenloses Projekt, so ähnlich wie der Versuch, eine Horde wild gewordener Waschbären mit der Hausordnung zu beeindrucken.
